Der Schuldenstreit in Griechenland ist eskaliert. Man kann die Positionen, die von den Beteiligten und Unbeteiligten vertreten werden in zwei Lager einteilen. Beide Lager haben nachvollziehbare Argumentationen. Die Kernfrage ist aber nicht, wer Recht hat, sondern was gerecht wäre.
Die Situation
Griechenland ist seit Jahren überschuldet. Schuld daran ist das seit Jahrzehnten gewachsene politische System, das chronisch ineffizient ist. Dazu kommt das schwierige wirtschaftliche Umfeld. Um beides aufrechtzuerhalten, muss ständig neues Geld geliehen werden. Die neuen Schulden führen dazu, dass es immer schwieriger wird, die Schulden wieder abzubezahlen. Griechenland hat, trotz umfangreicher Reformen der letzten Jahre, im Jahr 2014 nur einen sehr kleinen Primärüberschuss (Staatseinnahmen minus Staatsausgaben, ohne Schuldenzinsen) erreicht. Da der riesige Schuldenberg der letzten Jahrzehnte aber den Staatshaushalt belasten, wird das nicht ausreichen. Um die Schulden wirklich abzubauen, müsste weiter gespart werden, was die Wirtschaftsleistung senken und die Arbeitslosenquote steigen lassen würde.
Dabei ist die Lage schon dramatisch. Die Wirtschaftsleistung ist in den Jahren 2009-2013 um fast ein Viertel gesunken. Gleichzeitig hat sich die Arbeitslosenquote fast verdreifacht, auf aktuell über 25%.
Wer ist hauptsächlich betroffen?
Die Bürger. Und zwar die Griechen, wie auch die Bürger der Länder, die mittlerweile sehr viel Geld in die Stabilisierung von Griechenland bezahlt haben. Mittlerweile sind die IWF, EZB und EU die mit Abstand größten Gläubiger Griechenlands. Andere Gläubiger sind nur noch mit einem relativ geringen Prozentsatz an den griechischen Schulden beteiligt.
Was ist die Verantwortung der Griechen?
Grundsätzlich kann den Bürgern vorgeworfen werden, dass sie nicht rechtzeitig für einen politischen Wechsel gesorgt haben, zu einer langfristig soliden Politik geführt hätte. Die Demokratie, als das mit Abstand beste politische System das wir kennen, sieht das vor. Dabei wird aber vergessen, dass es schwierig ist, radikale Strukturprobleme zu bemerken und anzugehen, solange nicht wirklich eine Krise herrscht. Auch in Deutschland ist noch nie eine Regierung ausgetauscht worden, weil sie zu viele Schulden gemacht hat oder weil sie nötige Strukturanpassungen unterlassen hätte. Es war eher das Gegenteil der Fall. Den Bürgern in Griechenland kann kein Vorwurf gemacht werden, dass sie genau wie Bürger in anderen Ländern die Politik haben machen lassen.
Was ist die Verantwortung der Bürger der anderen Länder?
Wie aber steht es um die Bürger der anderen Länder, deren Politiker die Finanzhilfen gewährt haben? Diese haben mit Notkrediten und Schuldenschnitten Beistand geleistet, um die Griechen „zu retten“. Sie haben Milliarden in das marode Finanzsystem gepumpt. Sie zahlen die Milliarden nicht direkt von ihrem Konto. Aber sie würden einen Preis bezahlen, wenn Griechenland seine Schulden tatsächlich nicht mehr bedienen kann. Sie werden spüren, wenn Geld in den öffentlichen Haushalten fehlt, für Investitionen in die eigene Infrastruktur oder für Sozialleistungen. Fair wäre dies nicht. Dies wäre, genau wie bei den Griechen, ein Resultat der eigenen Politik, die Jahre lang nicht ausreichend auf die Einhaltung von Regeln in Griechenland hingearbeitet hat und seit Beginn der Krise nicht die richtigen Mittel gefunden hat.
Fazit
Wir haben die Situation, dass die Bürger sich auf beiden Seiten identisch verhalten und ihren gewählten Politikern vertraut haben. Meiner Ansicht nach lässt sich hier eine gleiche Verantwortungslosigkeit auf beiden Seiten feststellen. Die Hauptschuldigen sind für mich die Politiker. Die griechischen, weil sie hätten wissen müssen, dass ihr System nicht auf Dauer funktionieren kann. Und die Politiker der EU, weil sie mit der griechischen Politik viele Jahre lang den Konflikt gescheut haben. Und das, obwohl sie es hätten besser wissen müssen und Sanktionsmöglichkeiten gehabt hätten.
Bleibt die Frage der Gerechtigkeit. Wenn die Bürger sich auf beiden Seiten gleich verhalten haben, aber eine Seite eine ungleich stärkere Konsequenz zu erwarten hat, ist dies nicht gerecht. In diesem Fall sind es die Griechen, die auf das massivste leiden, während die restlichen Europäer ganz gut davon gekommen sind. Und auch im Falle eines erneuten Schuldenschnitts nicht annähernd die Konsequenzen zu erwarten haben, wie sie derzeit die Griechen erwarten. Aus diesem Grund ist es meiner Ansicht nach nur gerecht, den Griechen entgegen zu kommen und auf die Rückzahlung der Schulden in einem erheblichen Umfang zu verzichten.
Hallo Jonas,
Zu Gute halten muss man Deinem Artikel, dass er sich sehr bemüht ausgleichend beide Perspektiven zu betrachten und korrekterweise darzustellen, dass die einfachen Bürger die großen Verlierer sein werden.
Mir kommt aber zweierlei zu kurz:
1) Eine fundierte Fehleranalyse, wie es zu der aktuellen Situation kam. Hier machst Du es Dir mit der ausschließlichen Darstellung des ineffizienten griechischen Wirtschaftssystem zu einfach. Es gibt viele Ursachen der Krise, auf die Griechenland keinen Einfluss hatte. Ich empfehle Dir folgenden Artikel zur Weiterbildung: http://m.heise.de/tp/artikel/45/45347/2.html
2) Du läßt unerwähnt, dass es in den jetzt gerade gescheiterten Verhandlungsrunden gar keine Unterschiede mehr dazu gab, ob und wieviel der griechische Staat sparen und reformieren muss, sondern nur noch Interpretationsunterschiede bestanden wo das Geld gespart werden soll. Syriza will per Vermögenssteuer primär die Besserverdienenden belasten, Schäuble, Junker und ihre Schergen bestehen darauf, das statt dessen Rentner und andere arme Bevölkerungsschichten belastet werden. Diese Vorschrift der Schwerpunktsetzung ist imho eine eindeutige Verletzung der griechischen Souveränität. Man versucht sich hier in die Innenpolitik eines Staates einzumischen. Ich lese daraus, dass die EU – unter deutscher Federführung – aktuell eine ihnen unliebsame aber demokratisch gewählte Regierung versucht aus dem Amt zu hebeln. Das ist ein ganz gefährliches respektive gar nicht mehr vorhandenes Demokratieverständnis!
Hallo Lasse,
du hast Recht, auf eine detailliertere Fehleranalyse habe ich verzichtet und habe mich auf den Gerechtigkeitsaspekt bzgl. der Konsequenzen für die Bürger konzentriert. Es wäre interessant, diesen eine umfassende Fehleranalyse noch einzubringen, letztlich würde er aber nichts am Analyseergebnis ändern. In der Konsequenz tragen die passiven Bürger die Last, welche weder Einfluss auf die Weltwirtschaft hatten, noch auf ihre Politik genommen haben.
Zu Punkt 2: Es war nicht meine Intention, in diesem Text die Verhandlungen zu bewerten. Die Verhandlungen haben sicher Potential für weitere, sehr umfassende Analysen…
Hallo Jonas,
okay, Deine Schwerpunktsetzung ist natürlich zu akzeptieren!
Ich habe soeben sehr interessiert folgendes Dossier gelesen, dass Deine These stützt und Dich ggf. interessieren könnte:
http://europoly.tagesspiegel.de